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Kyra Hertel
In Deutschland werden auf insgesamt 16,6 Millionen Hektar landwirtschaftliche Produkte angebaut. Davon werden 1,6 Millionen Hektar nach den Standards der biologischen Landwirtschaft bewirtschaftet. Die regenerative Landwirtschaft ist nur auf 50.000 Hektar zu finden. Bisher also noch eine echte Nische. Dennoch stößt man in den letzten Jahren immer wieder auf diesen Begriff. Aber um was handelt es sich genau?
Diese Frage ist gar nicht so einfach zu beantworten. Die Wurzeln der regenerativen Landwirtschaft liegen in vielen verschiedenen landwirtschaftlichen Traditionen aus der ganzen Welt. Besonders die über Jahrtausende gesammelten Erfahrungen indigener Kulturen schlagen sich in den Ansätzen der regenerativen Landwirtschaft nieder. Den Begriff prägte letztendlich der Amerikaner Robert Rodale in den 1980ern. Allerdings gibt es bis heute keine allgemeingültige Definition und auch keine festen Richtlinien wie es zum Beispiel in der biologischen Landwirtschaft der Fall ist.
Der Ansatz der regenerativen Landwirtschaft richtet sich vielmehr daran aus, gewisse Ziele und Ergebnisse zu erreichen. Als übergeordnetes Ziel sollen landwirtschaftliche Ökosysteme so genutzt werden, dass sie ihr positives Potential für Landwirt:innen, Umwelt und Gesellschaft entfalten können. So beschreibt es das „Manifest für regenerative Landwirtschaft in Europa”, das von der Initiative Climate Farmers initiiert und von 70 Expert:innen und Landwirt:innen aus ganz Europa unterschrieben wurde.
In ökologischer Hinsicht liegt der Fokus darauf, durch landwirtschaftliche Praktiken die Bodengesundheit zu verbessern, um mehr Wasser im Boden zu halten, Biodiversität zu erhöhen und Kreisläufe ganzheitlich zu schließen. Das bedeutet genauer, das Bodenleben zu fördern und den Anteil von Humus im Boden zu erhöhen. Humus ist die fruchtbare obere Schicht des Bodens, die vor allem aus organischen Materialien besteht und in der sich unzählige Kleinstlebewesen befinden. Der Aufbau von Humus speichert außerdem CO2 als Kohlenstoff im Boden und hilft so, dem Klimawandel entgegen zu wirken.
Gleichzeitig geht es darum, ökonomische Perspektiven für Landwirt:innen zu schaffen. Denn in den Jahrzehnten haben sich die Bedingungen der landwirtschaftlichen Produktion stark verändert und sorgen für einen ständigen finanziellen Druck, der auf Bauern und Bäuerinnen lastet. Dieser Strukturwandel besteht zum Beispiel darin, dass die Anzahl der landwirtschaftlichen Betriebe immer weiter zurückgeht. Vor 50 Jahren gab es in der alten Bundesrepublik noch 1,1 Millionen Betriebe, heute sind es nur noch 263.500 in allen 16 Bundesländern. Dabei sind die Flächen und die Viehbestände einzelner Betriebe immer weiter angestiegen. Besonders kleinere Betriebe können im Wettbewerb kaum noch mithalten. Auch, weil die Pacht- und Kaufpreise zwischen 2005 und 2019 um 204 Prozent angestiegen sind. Hier geht es also insbesondere darum, neue und diverse Absatzmärkte zu schaffen und den Erwerb von Land wieder erschwinglich zu machen, sodass auch kleinbäuerliche Strukturen mit ökologischen Wirtschaftsmethoden überleben können.
Auf gesellschaftlicher Ebene wachsen die Erwartungen an Landwirt:innen, was das Tierwohl, die Nachhaltigkeit, die Produktion qualitativ hochwertiger, gesunder und gleichzeitig günstiger Lebensmittel angeht. Gleichzeitig bleiben die Arbeits- und Lebensrealität von Landwirt:innen häufig unsichtbar. In der zunehmend polarisierten Debatte steigt die Entfremdung zwischen Landwirt:innen und Gesellschaft. Ein Ziel der regenerativen Landwirtschaft ist es auch, die Gesellschaft und die Landwirt:innen wieder näher zusammenzubringen. So können landwirtschaftliche Betriebe zum Beispiel ländliche Räume wieder mitgestalten und Orte der Gemeinschaft und des Zusammenhalts schaffen. Insbesondere neue Formen der Vermarktung wie die Direktvermarktung, Solidarische Landwirtschaften oder Regionalwert-Initiativen können ländliche Strukturen wieder stärken. Es geht hier aber auch darum, den Landwirt oder die Landwirtin als Akteur:in und Gestalter:in wieder ins Zentrum der Transformation zu rücken und ihnen die Gestaltung der Transformation zu überlassen.
So vielfältig wie die unterschiedlichen Höfe in Deutschland, Europa und der ganzen Welt, ist auch die Umsetzung der regenerativen Landwirtschaft. Denn mit welchen landwirtschaftlichen Praktiken ein einzelner Hof diese Ziele erreicht, bleibt den Bauern und Bäuerinnen selbst überlassen. Denn jeder Hof hat seine eigenen Voraussetzungen, Ziele und folgt seiner eigenen Entwicklung.
Das Potential der regenerativen Landwirtschaft liegt darin, einen Raum zu bieten, in dem Landwirt:innen, Beratungsfirmen, Verbraucher:innen, Politiker:innen, Wissenschaftler:innen gemeinsam nach Lösungen suchen können. Allerdings bleiben noch viele Fragen offen: Kann sich jede:r regenerative Lebensmittel leisten? (Wie) Ist es möglich, die Ansätze der regenerativen Landwirtschaft in die Fläche zu bringen? Wie lassen sich die Rahmenbedingungen auf politischer Ebene verändern, um regenerative Landwirtschaft zu fördern? Um diese Transformation zu vollbringen, reicht es nicht, die gesamte Verantwortung auf die Landwirt:innen abzuwälzen. Vielmehr ist das eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, für die es die ganze Lieferkette, die entsprechenden politischen Rahmenbedingungen und die Verbraucher:innen braucht.
Wenn man sich die Bewegung der regenerativen Landwirtschaft anschaut, wird jedoch eins klar: Es gibt immer mehr Menschen, die sich darüber bewusst werden, dass die Landwirtschaft nicht nur Treibhausgase ausstößt, unsere Böden auslaugt und unser Grundwasser mit Nitrat versaut, sondern ganz im Gegenteil: Die Landwirtschaft kann Lösungsgeberin sein, um die dringend notwendige ökologische, soziale und ökonomische Transformation unserer Ernährungssysteme voranzutreiben.
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