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Der Migrationsrat Berlin e.V. definiert BIPOC so: “BIPoC ist die Abkürzung von Black, Indigenous, People of Color und bedeutet auf Deutsch Schwarz, Indigen und der Begriff People of Color wird nicht übersetzt. All diese Begriffe sind politische Selbstbezeichnungen. Das bedeutet, sie sind aus einem Widerstand entstanden und stehen bis heute für die Kämpfe gegen diese Unterdrückungen und für mehr Gleichberechtigung.”
Beginnen wir mit einem Beispiel: In seinem Buch „Rebellen der Erde” widmet Benedikt Bösel ein Kapitel seinen Vorbildern. Darunter die bekannten Namen: Ernst Götsch, Gabe Brown, Joel Salatin, Allan Savory etc. Aus insgesamt sieben Personen ist eine Person weiblich, Elaine Ingham, und eine Person aus dem nicht-westlichen Raum, Masanobu „Fukoka” (dessen Name auf der Abbildung auch gleich falsch geschrieben ist. Eigentlich heißt er Masanobu Fukuoka). Das ist ja Bösels persönliche Erfahrung und die möchte ich nicht kritisieren. Was aber doch problematischer ist, dass diese Liste exemplarisch dafür stehen kann, welche Menschen in der Bewegung der regenerativen Landwirtschaft repräsentiert werden und welche nicht – ein System, in dem die Stimmen von BIPoC-Communities und von Frauen meistens übergangen werden. Und damit auch ihre Perspektiven, ihr Wissen und ihr Beitrag dazu, dass die Bewegung der regenerativen Landwirtschaft überhaupt existiert.
Jetzt könnte man ja meinen, dass es vielleicht einfach nur die Weißen und männlichen Personen sind, die einen Beitrag zur regenerativen Landwirtschaft geleistet haben und deshalb sieht die Debatte eben so aus wie sie aussieht. Das entspricht aber nicht der Realität. Die Debatte sieht so aus, weil wir bestimmten Personen mehr Raum geben als anderen. Weil manche Stimmen mehr Aufmerksamkeit bekommen und andere wiederum um ihre Legitimation kämpfen müssen.
Wer sind sie dann aber, die „wahren” Vorreiterinnen der regenerativen Landwirtschaft? In einem Interview mit life & thyme erklärt Kiani Conley-Wilson, stellvertretende Programmleitung bei Soul Fire Farm, dass regenerative Landwirtschaft „nicht nur von einem einzigen Ort kommt. Sie basiert auf vielen verschiedenen Kulturen – indigene, afrikanische und afro-amerikanische Kulturen eingeschlossen. Sie war in den USA, bevor es die USA überhaupt gab.” (“regenerative agriculture ‘doesn’t come from a single place. It’s in a lot of different cultures, including Indigenous, African, and African-American cultures. It was in the U.S. before it was the U.S.’”).
Viele Ideen, die heute in der regenerativen Landwirtschaft als „neu”, „innovativ”, oder „revolutionär” betitelt werden, haben ihre Ursprünge in BIPoC-Communities. An der ganzen Sache ist vielleicht nur wirklich neu, dass zum Beispiel Landwirt:innen in Deutschland dieses Wissen übernehmen und auf ihren Feldern anwenden. Allerdings benennen wir das in Debatten und Diskussionen im westlichen Raum viel zu selten. Es ist das Wissen von Indigenen, Schwarzen und Afro-amerikanischen Kulturen und ihre über Jahrtausende hinweg gesammelten Erfahrungen, die wir verwenden, um es als „unser” Wissen in Vorträgen, Podiumsdiskussionen und YouTube-Filmen zu verbreiten.
Bei der Frage wie wir diese Debatte führen, geht es also eher darum, wessen Expertise wir ernst nehmen und welchen Perspektiven wir Bedeutung und Autorität zuschreiben. In unserer Gesellschaft sind wir es gewohnt, den „alten Weißen Männern” diese Autorität zuzubilligen. Das kennen wir bereits aus so vielen Bereichen des öffentlichen Lebens und hinterfragen es deshalb selten. Dabei ignorieren wir einen Großteil der gesellschaftlichen Realität, denn die besteht eben nicht nur aus westlichen und männlichen Perspektiven.
Während meiner Recherchen zu dieser Ausgabe wurde mir eins klar: patriarchale und post-koloniale Strukturen machen auch vor Bewegungen wie der regenerativen Landwirtschaft nicht Halt. Die Frage, die ich als Weiße Person in Bezug auf meine Arbeit stelle, ist was mein Beitrag dazu sein kann, diese Strukturen nicht zu reproduzieren. Wie ich meiner Verantwortung als Medienschaffende gerecht werden kann, die üblichen Narrative herauszufordern und Platz zu schaffen für Stimmen, die wir normalerweise übergehen. Denn ist es nicht unsere Aufgabe, unvoreingenommen die Realität abzubilden?
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